Das lateinische „Da pacem, Domine, in diebus nostris, quia non est alius qui pugnet pro nobis, nisi tu Deus noster“ stammt wahrscheinlich aus dem 6. oder 7. Jahrhundert und basiert auf Bibelversen wie 2. Kön 20,19 und Ps 72, 6.7. Als gregorianische Antiphon erscheint diese in den liturgischen Büchern etwa seit dem 9. Jahrhundert. Als geistliche Liedstrophe „Verleih uns Frieden gnädiglich“ ist sie eine Nachdichtung dieser Antiphon „Da pacem, Domine“, die von Martin Luther wohl 1529 verfasst wurde und die zum Bestand der frühesten lutherischen Gesänge (Klugsches Gesangbuch) gehört.
Der Brauch, zur Mittagszeit die Kirchenglocken zu läuten, ist auf die Zeit zurückzuführen, als die Heere des osmanischen Reiches das christliche Abendland bedrohten. Papst Calixt III. (1378-1458) ordnete am 29. Juni 1456 in einer Bulle an, dass eine oder mehrere Kirchenglocken mittags durch ihr Geläut die Gläubigen dazu aufrufen sollten, für die Bewahrung der Christenheit und einen Sieg im Kampf gegen Angreifer zu beten. Nach einer Abwehr der Gefahr nahm man an, dass fortan das kirchliche Mittagsgeläut aus Freude über die Niederlage der Feinde zu ertönen habe. (Diese Praxis ging als „Türkenläuten“ in den allgemeinen Sprachgebrauch ein.)
Besonders in Zeiten gefährdeten Friedens und in Kriegszeiten bittet die christliche Gemeinde Gott um Frieden. In der evangelischen Kirche wird schon länger das übliche Mittagsläuten mit der Friedensbitte verbunden. Dies hat auch Eingang in das vorgeschlagene Mittagsgebet (EG 780.10) nach dem Evangelischen Gesangbuch (ab 1993) gefunden, wo das „Verleih uns Frieden gnädiglich“ zum Abschluss gesungen werden soll. Ebenso findet sich dieser Gesang in den neuen Formen zum Mittagsgebet (Sext) nach dem Evangelischen Tagzeitenbuch der Michaelsbruderschaft und wird in der letzten Ausgabe von 2020 als eigene Form dargestellt (Nr. 240.1-5). Charakteristisch sind hier die (gesungenen) Versikel „Führe uns vom Tod zum Leben“, die aus dem Worship-Book der Konferenz des Ökumenischen Rates in Vancouver 1983 stammen. Sie gehen vielleicht zurück auf ein weltweites Gebet, das auch in anderen Religionen auftaucht.
Die hier vorgelegten Ordnungen und die Vorschläge zur liturgischen Gestaltung möchten die inhaltliche Füllung der Mittagsgebete um Frieden ausweiten. Es werden – je nach benutztem Rollenbuch der Gemeinde – zwei Versionen geboten: Ordnung I mit dem Tagzeitenbuch und gesungenen Psalmen, Ordnung II mit dem Gesangbuch, seinen Liedern und gesprochenen Psalmen. Dazu wird eigens auf Psalmen für die verschiedenen Kirchenjahresphasen hingewiesen und es werden für jede einzelne Woche des Jahres biblische Texte zum Frieden angegeben, die möglichst im Zusammenhang mit dem Gesamtproprium (Textraum) der jeweiligen Woche stehen und diese vertiefen. Als eröffnende Hymnen eigenen sich die meisten Hymnen zur Mittagszeit im Tagzeitenbuch. Die vorgeschlagenen Lieder zeigen die Vielfalt, in der das Thema Frieden im Gesangbuch aufgegriffen wird.
Als Friedenskollekte könnte eines der Gebete aus den abgedruckten Vorschlägen ausgewählt werden, die überwiegend aus dem Tagzeitenbuch stammen. Oder es lässt sich ein aktuelles Gebet selbst formulieren. Statt des üblichen Segens mag ein alternativer Segenswunsch aus verschiedenen Ländern der Ökumene verwendet werden.
Möchte man das Friedensgebet ausführlicher gestalten, ließe sich eine Betrachtung oder ein Impulstext aus dem Anhang einfügen. Auch wäre möglich, die Seligpreisungen (etwa mit EG 307) quasi als Canticums-Gesang (vor dem Gebetsteil) aufzunehmen, wie auch aktuelle Fürbitten (vor oder nach dem Kyrie) vorzusehen.
Möge Gott seinen Frieden geben und uns segnen im Zeichen des Regenbogens, den er in die Wolken gesetzt hat: im Rot der flammenden Liebe, im Orange der kindlichen Freude, im Gelb der wärmenden Sonne, im Grün des aufkeimenden Lebens, im Blau des weiten Himmels, im Violett von Trost und Überwindung. Möge Gott unser aller gedenken nach seinem Bund mit der Erde: Der Schöpfer durch Christus im Heiligen Geist.
Stuttgart, im Juli 2023
Reinhard Brandhorst